Hitzehusos

Hitzehusos

Dieser Text richtet sich nicht gegen Menschen bestimmter Herkunft, Nationalität oder gegen Tourismus an sich. Er richtet sich gegen eine lautstarke, klima-ignorante Subgruppe von Wohlstandspersonen, die in ihrer Sehnsucht nach immer mehr Hitze systematisch ausblenden, dass es auch Menschen – und Tiere – gibt, die darunter leiden. Sie treten laut auf, fordern Temperaturrekorde wie Bestelloptionen beim Lieferservice, und tun so, als sei Sommerurlaub nur dann valide, wenn einem das Hirn schmilzt wie ein schlechter Edamer in der Mikrowelle.

Alle Quellen zu den Fakten sind im Text verlinkt und auch in der Fußnote nochmal hervorgehoben.

Diese Gruppe nennen wir heute, mit satirischem Ernst: die Hitzehusos.

Es gab einmal eine Zeit, da bedeutete Sommer an der Nordsee: Windjacke, Sand in den Schuhen, 21 Grad bei „ganz schön warm heute!“ und, für die Erwachsenen, ein obligatorischer Grog am Abend, weil es trotz Sonnenuntergang nach 22 Uhr noch immer aus allen Richtungen zog. Doch dann kamen sie.

Mit Erwartungen im Gepäck, die irgendwo zwischen Mallorca, Dubai und Klimaanlage im SUV konditioniert wurden, betraten sie unsere Küstenregionen – und erklärten, dass dies hier gefälligst auch 30+ Grad zu haben habe. „Wo bleibt die Sonne?!“ rufen sie bei 25 Grad und leichter Brise, während einheimische Senioren mit Hitzestich eingeliefert werden, die Feuerwehr die Seen im Park befüllen muss und Dinge durch pure Sonneneinstrahlung Feuer fangen.

Nein, es ist keine Meinung, ob man Hitze „nicht mag“

Ich selbst gehöre zu den Menschen, für die Hitze kein Lifestyleproblem, sondern eine körperliche Tortur ist. Ich leide unter Hyperhidrose – mein Körper produziert schon bei gemäßigten Temperaturen Schweißmengen wie ein Saunaofen mit Minderwertigkeitskomplex, und das nicht aus Fitnessgründen.

Ich kann bei 20°C Kreislaufprobleme bekommen. Ich habe zwei Winter obdachlos überlebt, in T-Shirt und Jacke bei Minusgraden – und war dabei fitter als an einem x-beliebigen 28°C-Junitag mit „nur Sonne“. Aber Menschen, oft aus heißen Regionen wie Nevada, Südeuropa oder Nordafrika, erklärten mir dann, ich müsse mich nur „dran gewöhnen“. Als wäre das hier ein Thermalbad und ich zu dumm, die Temperatur zu genießen.

„Wie kann man Sonne nicht mögen?“

Ganz einfach: Weil mein Körper auf sie reagiert wie andere auf Spinnen, Erdnüsse oder nukleare Strahlung. Es ist nicht Trotz, kein Lifestyle-Statement, kein „Emo-Move“ oder Neurose. Es ist eine physiologische Realität, die sich nicht weglächeln lässt – auch nicht mit einem Sonnenschirm, fünf Flaschen Wasser oder deiner Lieblings-Playlist von „Sunshine Reggae“.

Fakten, für alle die jetzt sagen: „Ach komm, ist doch nicht so schlimm“

  • Die Nordsee erwärmt sich mit überdurchschnittlicher Geschwindigkeit – bis zu +1,5 °C seit 1969 im Jahresmittel (Quelle: AWI).
  • Der Trend der sogenannten Coolcations (Urlaub in kühleren Gebieten) sorgt für einen drastischen Anstieg des Sommertourismus in vormals moderaten Regionen (Quelle: European Travel Commission).
  • Der erste 30-Grad-Tag 2024 wurde in Deutschland bereits am 6. April gemessen – einem Monat, in dem früher noch Heizöl nachbestellt wurde.
  • Heimische Tierarten wie Wattvögel, Seehunde und Muscheln leiden zunehmend unter der Kombination aus Hitzewellen und Niedrigwasser, was zu großflächigen Stressreaktionen und Ausfällen in Brutzyklen führt.

Kurz gesagt: Es ist nicht nur ein Gefühl – der Norden wird heiß. Und zwar auf eine Weise, die weder ökologisch noch gesundheitlich unproblematisch ist.

Quelle: Von FraKa – Deutscher Wetterdienst, GeoNutzV, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89681014

Hitzehusos – eine Typologie des klimatischen Kolonialismus

Sie sind nicht alle gleich – aber in ihrer Lautstärke eint sie ein gemeinsames Merkmal: sie definieren Normalität über ihre Komfortzone.

TypMerksatzVerhalten
Die Sonnenpaladine„25 Grad ist kalt.“Laufen bei 19 °C in Daunenjacke, bei 32 °C ist es immernoch „zu kalt“.
Die Thermohumanisten„Menschen brauchen Sonne, sonst werden sie krank.“Leugnen Hitzeintoleranz wie andere Long Covid oider Autismus bei Erwachsenen
Die Lokalwettermilitanten„Letztes Jahr war’s heißer!“Fordern jedes Jahr neue Rekorde, sonst wird auf Tripadvisor gemotzt

Gemeinsam sorgen sie dafür, dass Diskussionen über Klimaanpassung, Hitzeschutz oder Tourismus-regulierung sofort als „unfreundlich“ oder „wirtschaftsfeindlich“ abgestempelt werden.

Wer friert, darf einen Pulli anziehen. Wer kollabiert, hat Pech gehabt?

Was viele nicht verstehen (oder nicht verstehen wollen): Nicht jeder Körper kommt mit Hitze klar.
Chronisch Kranke, Ältere, Kinder, Neurodivergente Menschen mit sensorischen Empfindlichkeiten – sie leiden nachhaltig unter Temperaturen, bei denen andere „endlich mal schön warm“ sagen.

Und während man sich gegen Kälte notfalls einpacken kann, gibt es gegen Hitzewellen irgendwann nur noch eines: Rückzug. Aber wohin, wenn selbst der Norden brennt?

Klimatische Rückeroberung beginnt mit Empathie

Niemand sagt, dass Sonne schlecht ist. Niemand will euch euren Urlaub verderben. Aber vielleicht – ganz vielleicht – sollte die Maximaltemperatur kein Glaubensbekenntnis, sondern eine Gemeinschaftsfrage sein.

Vielleicht sollten wir aufhören, Regionen wie Produktbewertungen zu behandeln („nur 24 Grad? 2 Sterne“), und anfangen, ihre Eigenheiten zu schützen – für die Menschen, die dort leben, und für die Arten, die sonst verschwinden.

Zum Abschluss: Bräunt euch, aber lasst uns in Ruhe

Mir ist das alles letztlich egal. Wirklich.

Wenn ihr gerne 37 Grad im Schatten habt, eure Füße auf glühenden Fliesen spazieren führt wie ein Yakitori-Spieß in Flipflops, dann bitte – macht das. Geht nach Ibiza, Sizilien, Dubai oder wohin auch immer euer Schmelzpunkt euch ruft. Bratet euch durch, lackiert euch mit Sonnenöl, sammelt Hautkrebsvarianten wie andere Panini-Sticker bei der WM.

Aber hört auf, Menschen wie mir – und allen, die aus kühleren Regionen kommen, leben, atmen und überleben – euren Hitzefetisch aufzuzwingen.

Wir haben nicht das falsche Klima.
Ihr habt einfach das falsche Maß.

Also lasst uns – und das meine ich wortwörtlich – verfickt noch mal in Ruhe.

Quellen:

AWI, Deutsche Bucht to Warm wie nie – Temperaturrekord in der Nordsee: Auch die Deutsche Bucht ist so warm wie noch nie – AWI
Wikipedia: Temperaturanomalien im Jahr 2024 – https://de.wikipedia.org/wiki/Temperaturanomalien_im_Jahr_2024
RND, Hitzewelle tötet hunderte Seevögel – Klima: Marine Hitzewelle im Pazifik tötet Hunderte Seevögel – neue Studie
WMO, Extreme events in the warmest year on record – European State of the Climate : extreme events in warmest year on record
Wikipedia: Folgen der Globalen Erwärmung in Deutschland – https://de.wikipedia.org/wiki/Folgen_der_globalen_Erw%C3%A4rmung_in_Deutschland
Guardian: „My escape is going north“ – https://www.theguardian.com/travel/article/2024/jul/02/my-escape-is-going-north-heatwaves-begin-to-drive-tourists-in-europe-to-cool-climes

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