Dex went Saarbrücken – Teil 1

Und da ist sie vorbei. Eigentlich schon 5 Tage lang. Aber ich musste nachdenken. Wie ich die Revision erlebt habe, und was sie mit mir gemacht hat.
Der erste Tag meiner Reise begann unbarmherzig früh. Um 06:30 Uhr klingelte der Wecker und riss mich aus einem ohnehin viel zu leichten Schlaf und mit meinen üblichen Schlafproblemen war die Nacht zuvor mehr ein unruhiges Dösen als echte Erholung gewesen. Trotzdem schob ich mich irgendwie aus dem Bett, packte die letzten Kleinigkeiten in meine Tasche und machte mich fertig. Der Bus, der mich zum Bahnhof bringen sollte, fuhr um 07:28 Uhr – eine präzise Zeit, die keinerlei Aufschub erlaubte. Noch etwas benommen von der Müdigkeit, aber getragen von einer aufgeregten Energie, stieg ich schließlich ein und ließ die ersten Kilometer der Reise an mir vorbeiziehen. Es war nicht nur der Beginn einer Fahrt.
Es war der erste Schritt in ein Kapitel, auf das ich so lange gewartet hatte.
Die Zugfahrt selbst verging in einer Mischung aus langen Blicken aus dem Fenster, Podcasts, Musik und gelegentlichen Versuchen, mir mit Pepsi Electric Blue das Leben etwas leichter zu machen. Dank der Entscheidung, die erste Klasse zu buchen, hatte ich wenigstens Ruhe und etwas mehr Platz. Streckenweise schlief ich fast ein, während draußen die Landschaft vorbeizog. Aber tief im Inneren blieb ich wach. Wach vor Vorfreude. Wach vor der leisen Aufregung, die mich schon seit Tagen begleitet hatte.
Es war mehr als nur eine Reise zu einem Event.
Es war meine erste physische Revision.
Meine erste echte Begegnung mit der Szene, die mich seit Jahren aus der Ferne fasziniert hatte.

Als ich endlich in Saarbrücken ankam, empfing mich ein grauer, aber freundlicher Himmel. Nach einem Taxi in die Unterkunft, auspacken und einer ruhigen, bequemen Nacht machte ich mich zu Fuß auf den Weg zur Veranstaltung. Der Weg führte durch den Garten der Deutsch-Französischen Freundschaft – und ich hätte mir keinen schöneren Einstieg wünschen können. Zwischen alten Bäumen, gepflegten Wegen und Seen schien die Welt für einen Moment langsamer zu werden. Es war, als ob dieser Garten ein Übergang wäre. Ein Raum zwischen der alltäglichen Welt und dem, was gleich kommen sollte:

Am Freitag, beim Einlass, stellte ich mich in die lange Schlange. Es war ein bunter, quirliger Haufen – voller Aufregung und leiser Nervosität. Um die Stimmung etwas aufzulockern, kam mir ein spontaner Einfall:
Ich überredete jemanden, gemeinsam jedes Mal dem Kameramann des Aftermovies albern zu winken, sobald er vorbeikam. Was als Scherz begann, endete unerwartet offiziell: Einer dieser Winker-Momente wurde später tatsächlich als Thumbnail des Aftermovies verwendet. Ein kleines Zeichen dafür, dass manchmal genau diese spontanen, albernen Aktionen die schönsten Erinnerungen werden.
Mission accomplished.
Die eigentlichen Wettbewerbe – die Compos – waren das Herzstück der Veranstaltung. Live in der Halle, auf der großen Leinwand, entwickelte sich eine Energie, die in keinem Stream der Welt je so eingefangen werden könnte. Es war, als würde man direkt in die Gedanken und Träume der Szene eintauchen. Bei den Amiga Intros und Amiga Demos zeigte sich eindrucksvoll, dass wahre Kreativität keine Grenzen kennt – selbst nicht die Grenzen längst veralteter Hardware. Auf Maschinen, die weit über dreißig Jahre alt sind, liefen Demos, die mit Liebe, Detailversessenheit und oft erstaunlicher technischer Finesse erschaffen worden waren. Besonders atemberaubend: Real-Time Raytracing auf einem Amiga 1200 – eine fast surreale Verschmelzung von Nostalgie und moderner Programmierkunst.
Die Wild Compo bot dagegen völlige kreative Freiheit. Ob verrückte Experimente oder radikale Konzepte – nichts war zu seltsam, nichts zu abwegig. Eine der eindrucksvollsten Einsendungen war eine Grafikdemo auf einem echten Oszilloskop, das nicht einfach als Display diente, sondern selbst zum Kunstwerk wurde.

In der Paintover Compo bewiesen Künstler, wie in kurzer Zeit aus einem einfachen Ausgangsbild beeindruckende neue Welten entstehen konnten – mal fantasievoll, mal emotional, mal einfach nur überwältigend schön. Musikalisch wurden in der Fast Music und der Tracked Music Compo zwei sehr verschiedene Seiten des Komponierens gezeigt: Hier rohe, spontane Tracks, die in wenigen Stunden entstanden; dort liebevoll konstruierte, klassische Tracker-Module, die mit minimalsten Mitteln eine erstaunliche Klangtiefe entfalteten.
Auch die klassischen Code-Competitions zeigten, wie unglaublich viel sich aus fast nichts erschaffen lässt: PC 64k Intros, in denen komplette audiovisuelle Erlebnisse auf winzigen 64 Kilobyte Platz fanden, und PC 4k Demos, die selbst auf vier Kilobyte noch ganze Geschichten erzählten. Und schließlich die 256 Byte Compo – ein kleines Wunder an technischer Eleganz, in der gerade einmal ein Viertel Kilobyte ausreichte, um farbige Explosionen, Pattern und Animationen zu erzeugen.
Jede dieser Wettbewerbe war mehr als nur ein technischer Showdown. Sie waren Ausdruck reiner Schaffensfreude, Mut zum Risiko und der ewigen Suche nach neuen Wegen, etwas zu erschaffen, das andere berührt. Egal ob in Code, Klang oder Bild – überall war spürbar, dass die Szene lebt, atmet, wächst.
Und dass sie niemals aufhören wird, neue Grenzen zu verschieben.

Die Revision 2025 fand – wie es sich für eine richtige Demoparty gehört – an einem Ort statt, der genau die richtige Mischung aus Charme, Platz und rauer Zweckmäßigkeit bot: dem EWERK in Saarbrücken.
Oder wie einige scherzhaft sagten: Saarbrooklyn. Das EWERK liegt ein wenig abseits, eingebettet in ein Industriegebiet, wo Beton und alte Backsteinfassaden Geschichten von früheren Zeiten erzählen.
Gerade diese Abgeschiedenheit verlieh dem Ort eine besondere Freiheit. Hier musste niemand Rücksicht auf leise Stimmen nehmen. Hier durfte gefeiert werden. Und ja – es wurde laut.
Als die Party einmal richtig losging, dann vibrierte das alte EWERK bis in seine Stahlträger. Das erste Mal richtig bebte der Boden beim Livekonzert von MBR – Master Boot Record. Was als musikalischer Auftritt geplant war, wurde schnell zum historischen Moment: Der erste offizielle Moshpit einer Demoparty. Zwischen verzerrten Sounds, pulsierenden Gitarrenriffs und euphorischen Menschen verwandelte sich der Saal in ein einziges, brodelndes Energiefeld. Man konnte die Begeisterung förmlich greifen.
Auch das DJ-Set von Lynn Drumm brachte die Halle zum Glühen. Mit treibenden Beats und einer Stimmung, die zwischen kollektivem Träumen und ekstatischem Tanzen wechselte, bewies sie, dass Musik nicht nur gehört, sondern gefühlt wird.
Und dann die Shader Showdowns – ein besonderes Highlight, nicht nur akustisch, sondern auch visuell.
Drei Coder, eine Leinwand, eine begrenzte Zeit: Livecoding, während auf der großen Projektionsfläche aus scheinbar chaotischen Zahlen und Buchstaben kunstvolle, atemberaubende Effekte entstanden.
Jedes Shadertriell war wie ein musikalisches Battle, in dem Algorithmen zu Licht und Klang wurden. H0ffman hatte absolut abgeliefert im Finale.
Neben dem Zuschauen und Staunen war ich in diesem Jahr auch selbst Teil der Bühne. Es war mir wichtig, nicht nur Zuschauer zu sein, sondern selbst Spuren zu hinterlassen – auch wenn sie klein sein mögen. Ein Kernpunkt der Demoszene ist nicht nur, Konsument der Kunst zu sein, sondern auch Schaffer.
Bei der Paintover Compo habe ich mich auf neues Terrain gewagt. Die Aufgabe, in nur 24 Stunden aus einem vorgegebenen Bild eine neue Welt zu erschaffen, war herausfordernd, aber auch unglaublich befreiend. Zu wissen, dass jeder Strich zählt, jede Farbe eine Entscheidung ist, machte das Arbeiten gleichzeitig nervös und lebendig. Am Ende entstand ein Bild, das vielleicht nicht perfekt war, aber echt – und genau darum ging es. Ich habe immernoch keine Ahnung wie man malt. Aber ich habs versucht!

Auch bei der Photo Compo habe ich mich beteiligt. Ein eingefangener Moment, ein stilles Stück Wirklichkeit, das sich für einen kurzen Augenblick gegen die Wucht der Bildschirme und Shader behaupten durfte. Es war faszinierend zu sehen, wie analog und digital an diesem Ort so mühelos nebeneinander existieren konnten.
Das eigentliche Herzstück meiner Teilnahme aber war die Game Compo. Zusammen mit Croomfolk von OpenGameArt entwickelten wir Starship Hivemind – ein kleines, aber ambitioniertes Survival-Spiel, das über einen offenen IRC-Channel gesteuert wurde. Die Idee war einfach, aber charmant: Spieler sollten kollektiv das Schicksal eines Raumschiffs steuern, Entscheidungen treffen, überleben oder scheitern – alles in Echtzeit, alles im Chaos eines öffentlichen Chats.
Es war ein Kraftakt, keine Frage. Doch als unser Spiel schließlich auf der großen Leinwand lief, die Eingaben aus dem Publikum eintrafen und das Schiff unter wilden Zurufen durch den virtuellen Weltraum taumelte, spürte ich eine tiefe, stille Freude. Nicht, weil alles perfekt war. Sondern weil es funktionierte. Weil aus einer Idee eine Erfahrung geworden war.
Natürlich wäre keine Demoparty komplett ohne die kleinen Trophäen, die man mit nach Hause nimmt.
Und die Revision enttäuschte hier kein bisschen. Ich sammelte Sticker – mehr, als ich eigentlich Platz auf meinem Laptop hatte. Jeder einzelne davon ein kleiner, klebender Zeitstempel: ein Logo, ein Spruch, eine Erinnerung an eine Begegnung oder ein Moment im großen Saal.


Dazu kamen T-Shirts, Kartenspiele, Blechschilder – all diese Dinge, die auf dem Papier vielleicht banal wirken, aber in Wirklichkeit kleine Anker sind. Beweise, dass ich da war. Dass ich teilgenommen habe.
Dass ich diese Reise nicht nur beobachtet, sondern wirklich erlebt habe.

Aber noch wichtiger als alles, was man anfassen konnte, war das, was man fühlen konnte. Die Revision war nicht nur ein Ort der Kreativität, sondern auch ein absoluter Safe Space. Und das spürte man überall. Schon bei der Anmeldung fiel auf: Es gab genderneutrale Toiletten. Keine Diskussionen, keine Umstände – einfach eine Selbstverständlichkeit, dass jeder Mensch seinen Platz hatte.
Das Consent-System, sichtbar durch farbige Sticker auf jedem Badge, unterstrich das noch einmal auf ganz eigene Weise.
Rot bedeutete: „Bitte nicht anfassen.“
Gelb: „Fragen, bevor du interagierst.“
Grün: „Interagiere frei, wenn du möchtest.“
Und diese kleinen Aufkleber waren mehr als Symbole. Sie wurden respektiert. Sie wurden gesehen. Wenn jemand versuchte, Grenzen zu überschreiten, wenn irgendwo unangemessene Aufkleber auftauchten oder hasserfüllte Botschaften – dann reagierte das Orga-Team schnell, klar und ohne große Worte. Es war, als ob der gesamte Raum sagte: „Hier bist du sicher. Hier wirst du respektiert. Hier darfst du sein.“
Für jemanden wie mich, der sich oft schwer tut, sich in große Menschenmengen zu begeben, war das unbezahlbar. Meine Sozialangst blieb natürlich präsent – sie ist ein Teil von mir – aber zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich nicht damit allein. Ich musste mich nicht erklären. Ich musste mich nicht verstecken. Die Revision schuf nicht nur Raum für Ideen. Sie schuf Raum für Menschen. Echte Menschen, mit all ihren Farben, Unsicherheiten, Hoffnungen und Stimmen.
Und das war vielleicht das größte Geschenk dieses Wochenendes.

Die Rückreise war, um es freundlich auszudrücken, ein Abenteuer. Die Bahn tat, was die Bahn eben am besten kann: Verspätungen sammeln wie andere Leute Briefmarken. Defekte Züge, verpasste Anschlüsse, plötzlich umgestellte Fahrpläne – irgendwann hörte ich auf, die Verspätungsminuten zu zählen.
Es wurde spät. Sehr spät.
Erst am Dienstagabend um 23:21 Uhr kam ich endlich wieder zuhause an. Beinahe hätte sich die Reise sogar noch in den Mittwoch hineingeschoben, wenn die Bahn nicht in letzter Minute noch einmal den Plan umgestellt hätte. Was für eine absurde, erschöpfende Schleife – von der Euphorie der Party bis zum späten Heimkommen mitten in der Nacht.
Als ich am Dienstag endgültig meine Tasche packte, schleppte ich neben Müdigkeit auch noch eine ordentliche Messegrippe mit mir herum. Fieber, Husten, Halsschmerzen – das komplette Paket. Und doch: Trotz allem, trotz Chaos und Krankheit, blieb mein Herz leicht. Denn jedes Mal, wenn ich an die Revision dachte, überstrahlte ein warmes Leuchten alle Müdigkeit.
(und, wo wir grade von Strahlung reden…)

Ich erinnerte mich an Libby und Alex, meine Sitznachbarn, die mich nicht nur während der Veranstaltung unterstützten, sondern sich sogar danach noch meldeten. An Sir Garbagetruck, der so begeistert über unser IRC-Spiel war, dass er im Stream schlicht vergaß, sich wieder lautzuschalten. An die Poo-Brains, die mit liebevoller Penetranz ihre legendären Popoloch- und Nippel-Sticker in jede freie Handfläche drückten.
Und dann war da dieser Moment, der alles zusammenfasste:
Als am Ende, nach all den Compos, Partys und Gesprächen, auf der riesigen Leinwand die Worte „See you soon“ erschienen. Ich saß da, mit pochendem Kopf, mit brennenden Augen – und fühlte, wie sich Tränen in mir sammelten. Nicht aus Schmerz. Sondern aus Freude.
Freude darüber, da gewesen zu sein.
Teil gewesen zu sein.
Gesehen worden zu sein.

Und während ich jetzt diese Zeilen schreibe, zwischen warmen Tee und Tablettenschachtel, denke ich leise:
Ich freue mich auf Ostern 2026.
Mehr, als ich es je aufschreiben könnte.
