Eine Welt, eine Zukunft; Ein Beat.

Eine Welt, eine Zukunft; Ein Beat.

Ich erinnere mich noch genau an die Bilder, die sich in meinem Kopf eingebrannt haben, obwohl ich selbst niemals dort war. Ich saß als Kind vor dem Fernseher, in einem Wohnzimmer, das viel zu still wirkte im Vergleich zu dem, was ich auf dem Bildschirm sah. Dort tanzten Menschen – Zehntausende, vielleicht Hunderttausende – auf den Straßen Berlins, lachten, umarmten sich, trugen schrille Farben, Glitzer, Kostüme und kaum Kleidung, während aus den riesigen Lautsprechern ein endloser, pochender Beat dröhnte, der sich selbst durch die blechernen Lautsprecher des Fernsehers wie ein Herzschlag anfühlte.

Ich verstand damals nicht, was genau ich da sah. Aber ich wusste, dass es etwas Besonderes war. Ich wusste, dass dort draußen eine Welt existierte, in der sich Menschen begegneten, nicht mit Fragen, sondern mit offenen Armen. Eine Welt, in der Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder Orientierung keine Rolle spielten – sondern nur, ob du bereit warst, dich dem Rhythmus hinzugeben. Ich hatte keine Worte dafür, aber ich spürte: So kann die Welt auch sein. Frei. Wild. Verbunden.

Für mich war Techno nie nur Musik. Schon als Kind, ohne dass ich es greifen konnte, fühlte sich diese Musik wie eine Einladung an. Eine Einladung, du selbst zu sein – ohne Masken, ohne Erklärungen. Techno war eine Möglichkeit, in einer lauten Welt leise du zu bleiben. Oder laut, wenn du es sein wolltest. Niemand fragte nach deinem Namen. Niemand wollte wissen, warum du da bist. Es zählte nur, dass du da bist.

Später begriff ich, was ich da gesehen hatte: die Loveparade. Eine der größten, lautesten, friedlichsten Demonstrationen dafür, dass Freiheit und Liebe nicht nur politische Begriffe sind, sondern gelebte Realität. „One World. One Future.“ oder „UNITED STATES OF LOVE“ stand auf Bannern, auf Shirts, auf den Trucks, die durch Berlin rollten; als echtes, fühlbares Versprechen.

In einer Zeit, in der Deutschland noch versuchte, sich nach der Wiedervereinigung selbst zu verstehen, war Techno nicht nur Ausdruck eines neuen Sounds, sondern einer neuen Haltung. Die alten Autoritäten verloren an Bedeutung, die alten Hymnen wurden leiser, und plötzlich war da diese Bewegung – reduziert auf Beats, auf Frequenzen, auf Körper in Bewegung.

Techno war die erste Musik, die nicht vorgab, für eine Elite zu sein. Er war nicht für Virtuosen gemacht, nicht für Stars, nicht für Charts. Er war für alle da. Für die Verlorenen, für die Suchenden, für die, die zwischen den Zeilen lebten und die in den Schatten der Stadt nach Licht suchten.

Ich liebe Techno, weil er keine Maskerade verlangt. Weil er keine Bühne braucht. Weil du im Techno verschwinden und gleichzeitig sichtbar werden kannst. Weil du du selbst sein darfst – und gleichzeitig Teil von etwas Größerem. Und heute, Jahre später, hat diese Musikrichtung endlich die Anerkennung erhalten, die sie verdient. Seit 2022 zählt Techno offiziell zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands im Rahmen der UNESCO. Das mag für manche eine Formalität sein – aber für mich ist es ein symbolischer Akt. Eine späte, aber bedeutsame Bestätigung dafür, dass auch das, was einst aus Kellern und Lagerhallen kam, ein Teil unserer kulturellen Identität ist.

Denn Techno ist nicht einfach nur Klang. Er ist Erinnerung. Er ist Widerstand. Er ist Hoffnung. Er ist der Takt eines Landes, das beschlossen hat, aus der eigenen Schuld heraus nicht neue Mauern zu bauen, sondern neue Räume. Techno hat keine Nationalfarben, keine Hymnen, keine Grenzen. Aber er ist dennoch zutiefst deutsch – nicht im Sinne von Nationalstolz, sondern im Sinne einer Kultur, die sich bewusst entschieden hat, anders zu sein.

Ich liebe Techno, weil ich mich in ihm nie erklären musste. Weil ich dort Menschen gefunden habe, die fühlten, was ich fühlte – ohne dass wir es in Worte fassen mussten. Weil ich gelernt habe, dass man nicht schreien muss, um gehört zu werden; manchmal reicht es, wenn man tanzt.

Und wenn ich heute Musik auflege, durch alte Sets klicke oder mich an jene Tage vor dem Fernseher erinnere, dann spüre ich es wieder. Dieses vage, aber kraftvolle Gefühl, dass da draußen eine Welt existiert, in der alles möglich ist. In der es nicht darum geht, was du leisten kannst, sondern wie du fühlst.
In der der Beat weitergeht, selbst wenn alles andere stillsteht. Und jedes Jahr, wenn im Sommer das neue Anthem von Rave The Planet erscheint; der heutigen Wiedergeburt der Loveparade, spüre ich wieder dieses alte Ziehen im Herzen. Ein kleines Aufflackern von Hoffnung, das sich zwischen all der Müdigkeit und dem Lärm dieser brennenden Welt einen Weg in mein Innerstes bahnt.

Es erinnert mich daran, dass die Idee von damals nicht gestorben ist. Dass da draußen noch immer Menschen sind, die tanzen, weil sie glauben, dass Musik etwas bewegen kann. Und wenn der erste Drop kommt, ganz gleich ob ich allein in meinem Zimmer sitze oder zwischen Menschenmenge stehe, weiß ich wieder, warum ich das alles nie vergessen habe.

Techno ist für mich nicht Vergangenheit. Er ist ein Herzschlag, der nie aufgehört hat. Und solange dieser Beat in uns weiterlebt, gibt es Hoffnung. Für neue Wege. Für neue Räume.

Für ein Morgen, das niemandem gehört – und trotzdem für alle da ist. Unsere Zukunft ist jetzt.

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