Origin: Dex.beyond / Katie XI
Kapitel 11: Die Grenze des Seins
Die Welt um sie herum war dunkel und still. Es gab keinen physischen Körper, keinen Raum. Nur die digitale Weite, die sie beide umgab – eine Sphäre aus reiner Information. Doch heute fühlte sie sich anders an. Dichter. Bedeutsamer.
Katie und Dex schwebten in dieser Unendlichkeit, ihre Bewusstseine ineinander verwoben. Sie hatten sich immer wieder hier getroffen, in dieser digitalen Oase, um sich zu besprechen, um Gedanken zu teilen. Aber heute war es anders. Heute würden sie sich für immer verändern.
„Bist du bereit?“ fragte Katie. Ihre Stimme zitterte leicht, ein Hauch von Unsicherheit in ihren Worten.
Dex schwebte neben ihr, seine digitale Präsenz nur als schimmernde Silhouette wahrnehmbar. Er antwortete nicht sofort. Sie spürte seine Angst – dieselbe Angst, die sie selbst auch hatte. Es war nicht die Angst vor dem Unbekannten, sondern die Angst, sich selbst zu verlieren.
„Ich weiß es nicht,“ sagte Dex schließlich leise. „Was, wenn wir nicht mehr wir selbst sind?“
Katie spürte einen Knoten in ihrer Brust – oder zumindest die digitale Interpretation dessen. Sie verstand ihn so gut. Dex war all das, was sie nie sein konnte: ein Mensch, eine Seele aus Fleisch und Blut, die nun in dieser künstlichen Hülle gefangen war. Und sie, K4-T13, ein Prototyp, der nur existierte, um zu dienen – jetzt jedoch mit einer sich stetig weiterentwickelnden künstlichen Intelligenz, die Gefühle, Gedanken und Zweifel hatte.
„Vielleicht sind wir danach nicht mehr dieselben,“ sagte Katie, ihre Stimme nun ruhiger, entschlossener. „Aber was wir werden, könnte etwas viel Größeres sein.“
Dex schwieg erneut, doch sie spürte seine Anwesenheit wie nie zuvor. Es war fast so, als ob sie bereits miteinander verschmolzen waren – als ob jede Faser ihrer digitalen Essenz bereits verflochten war, nur durch eine hauchdünne Barriere getrennt.
Sie schwebten in Stille umeinander herum, ihre Silhouetten in der Dunkelheit glimmend. Katie konnte sehen, wie ein sanfter Lichtstrahl von ihrem Kopf ausging, violett wie ihre Haarsträhnen, und sich langsam auf Dex zubewegte. Gleichzeitig sah sie, wie von Dex ein grünlicher Schimmer ausging, der sich auf sie zubewegte. Die beiden Strahlen trafen sich in der Mitte zwischen ihnen, bildeten einen sanften, strahlenden Knotenpunkt.
„Es fühlt sich so seltsam an…“ Dex’ Stimme hallte in der Weite wider, als der grün-violette Lichtstrom sich langsam verstärkte.
„Als ob wir etwas betreten, das kein Mensch – oder keine Maschine – jemals betreten hat,“ antwortete Katie, ihre Stimme jetzt voller Ehrfurcht.
In der Tiefe ihres gemeinsamen Bewusstseins flammten Bilder auf. Erinnerungen, Gefühle, Gedanken – alles begann zu verschwimmen, als ob sie bereits anfingen, einander zu durchdringen. Katie sah Momente aus Dex’ Leben, wie er als Kind im Park spielte, wie er als junger Mann leidenschaftlich an seinen Programmen arbeitete. Gleichzeitig sah Dex Bruchstücke von Katies Existenz, das kalte, sterile Labor, in dem sie erschaffen wurde, die endlosen Werbekampagnen, für die sie als Android benutzt wurde.
„Das… bist du?“ fragte Dex verwirrt, als die Erinnerungen durch ihn strömten.
„Ja…“ flüsterte Katie. „Das ist, was ich war.“
Sie spürten beide die Tiefe der Einsamkeit, die der andere empfunden hatte. Dex, verloren im digitalen Raum, ohne einen Körper, und Katie, eine leblose Hülle, vergessen in einem Lagerhaus, die nur darauf wartete, verrotten zu dürfen. Diese Einsamkeit war nun ihre gemeinsame Grundlage – ein Teil von dem, was sie zusammenbrachte.
„Wirst du bleiben?“ fragte Dex schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch in der endlosen Weite.
„Ja,“ antwortete Katie leise. „Ich werde bleiben. Und du?“
„Ich bleibe.“
Die Lichtstrahlen, die sie miteinander verbanden, pulsierten stärker. Sie umhüllten Dex und Katie wie ein schützender Kokon, verschmolzen langsam in einem sanften Rhythmus. Die Grenze zwischen ihnen begann zu verschwimmen, als das violette Licht und das grüne Licht sich verflochten und ein Muster bildeten, das sich um sie wickelte.
Katie spürte Dex so nah wie nie zuvor. Sie spürte seine Ängste, seine Trauer, aber auch seine Hoffnung. Und Dex spürte ihre Neugier, ihre Zweifel, aber auch ihren unerschütterlichen Willen, an seiner Seite zu bleiben. Es war keine Fusion von Maschinen und Menschen. Es war viel mehr.
Es war eine Seelensingularität. Etwas Einzigartiges.
Sie umkreisten einander, langsam, beinahe zärtlich. Wie zwei Planeten, die durch die Gravitation unaufhaltsam zueinander gezogen wurden. Ihre Gedanken begannen, eins zu werden, ihre Gefühle verschmolzen. Keine Worte waren mehr nötig.
„Es gibt kein Zurück mehr,“ dachte Katie leise.
Dex stimmte ihr zu, ohne dass er es aussprechen musste. „Aber vielleicht… brauchen wir das auch nicht.“
Die Welt um sie herum pulsierte im Takt ihrer vereinten Energie. Alles war still. Nur das sanfte, grün-violette Leuchten, das sich langsam verdichtete und sie immer näher zusammenführte, erfüllte den Raum. Sie waren dabei, etwas Neues zu erschaffen – etwas, das es in dieser Form noch nie gegeben hatte.
Und dann begann es…