INDIANA DEX II – Die Legende des Anderen Winterschuhs
Der Winter traf hart und unerwartet, niemand erinnerte sich je an einen so harten Temperaturfall in unseren milden Breitengraden. Eis bildete sich auf den Verkehrswegen und jugendliche Neufahrer überschätzten ihre Fahrkünste, sehr zu Ungunsten der Baumbevölkerung. Doch bevor es wirklich kalt wurde, musste ich noch einen letzten Auftrag erfüllen. Das Gegenstück zu meinem Wärmewerkzeug fehlte noch.
Aufgrund der Knappheit meines letzten Abenteuers habe ich die Forschung größtenteils verdrängt, doch jetzt war es an der Zeit, die Suche zu intensivieren; ich wollte wirklich nicht mit einer Socke am Boden festfrieren.
Mit unvergleichbarer Angeberei und Großkotzigkeit war es mir mit bestimmender Genauigkeit gelungen, den Standort des Gegenstückes näher einzukreisen. Es war ein Ort des Schreckens, ohne zivilisatorische Annehmlichkeiten, wie Kaffeemaschinen, Navigationsgeräten und automatischen Bidet-Arschduschen. Diesmal würde ich nicht allein voranschreiten. Dieses Mal nehme ich Menschenopfer, oder sozialverträglicher, Verstärkung mit.
Unter meinen adeligen Bekannten konnte ich das Baronenpaar Grindelscholz für diese Exkursion begeistern, aus dem Vorraum des lokalen Arbeitsamtes entführte ich ein paar praktisch vorbereitete fiktivperuanische Helfer und einen vegetarischen Großwildjäger, der vor seinem sichtlich gestresstem Sachbearbeiter mit einer erschossenen Zucchini prahlte. Ich rechnete fest damit, dass die peruanischen Helfer im ersten kritischen Moment eh‘ flüchten würden und uns im Stich ließen, daher handelte ich einen guten Preis aus. Für den Großwildjäger, natürlich. Wann hat man schonmal die Chance, mit authentischen Fiktivbuch-Peruanern zusammen zu arbeiten?
Für uns als Gruppe war es viel schwerer, ein Fahrzeug zu malen, daher machten wir uns in einem öffentlichen Reisebus bequem, bis dieser uns einige Kilometer vom Zielort entfernt absetzte. Ein dicht bewachsenes Parkplatzgestrüpp war unsere erste Hürde, doch wie so einiges Bevorstehendes, war es keine große Schwierigkeit, diese zu bewältigen.
Uns langsam in den Wald vortastend und die im Wege stehende Vegetation dezimierend, erkundeten wir die unmittelbare Umgebung. Nicht nur mannigfaltige Tiere, nein, auch ungewöhnliche Ureinwohner säumten diese merkwürdige Region der Welt. Viele davon sprachen uns an, vielleicht in der Hoffnung etwas Währung aus der zivilisierten, westlichen Welt zu ergattern. Einige jüngere Dorfbewohner versuchten uns penetrant, ihre Netze zu verkaufen, die wir, anscheinend einem Dorfritual entsprechend, auch nur 2 Jahre nutzen müssten, bevor wir ein neues bekämen. Mir persönlich kam dieses etwas unlauter vor, allerdings brauchten wir auch kein Netz.
Unsere Queste galt einer Jagd, aber einer, die auch ohne Netz einwandfrei zu erledigen war. Unser Ziel bewegte sich vermutlich nicht mehr und moderte in einer Urne vor sich hin. Wir waren alle aufgeregt, ein weiteres erfolgreiches Abenteuer abzuschließen, und dieser Aufregung entsprechend reagierten wir, als unsere Helfer mit großem Enthusiasmus den letzten Rest Gestrüpp vor der Grabstätte mit einem Flammenwerfer wegbrannten.
Dort stand er, ein Tempel mit einer gigantischen Grabstätte, verborgen im tiefsten Innenstadt-Dschungel. Unentdeckt, ungeplündert, ungesehen. Unser Ziel war die Grabräuberei, wie in einem Videospiel von einer Dame mit großen Tit… elbuchstaben millionenfach zelebriert. In einer genauso ehrenhaften Aufgabe, wie der Konservierung archäologischer Funde, galt es uns, mich am Frieren der Füße zu hindern.
Die Tempeltür war groß genug, uns uniform eintreten zu lassen. Wie schon in der ersten Stätte des Deichmannes öffnete sich diese wie von Zauberhand und das adelige Pärchen beschloss, diese schon einmal aus Patenttroll-Gründen zu untersuchen.
Profit aus der Sache zu schlagen schien etwas unethisch zu sein, aber wie sonst sollten wir unsere Sherpas bezahlen? Die Ausrüstung wie Musky-Meltdown-Promo-Flammenwerfer und völlig unnütze (aber superflauschige) Alpakas waren echt teuer.
Die Tempelanlage war weitläufig, unübersichtlich und wir hatten ernsthaft Probleme, uns zu orientieren. Nicht nur die Orientierung selbst war ein Problem, es liefen bereits einige alte Bekannte über das Gelände, in klassischem Schwarz-Grün. Dämoninnen und Kassierergoblins, beiderlei bereits suchend nach Opfern zum Entnehmen jeglicher geldwerten Leistungen.
Wir teilten uns auf, um möglichst effizient suchen zu können. Das Baronenpärchen zog sich zu zweit zurück, denn man könne ja in einem schon seit Äonen eingespielten Team nie falsch liegen, ein Gedankengang, den ich stark bezweifelte. So blieb ich mit dem Großwildjäger, seiner Zucchini und einem der fiktivperuanischen Helfer namens Pedro zurück.
Langsam, gar übervorsichtig liefen wir geduckt durch die Anlage. In einer vorigen Beobachtung konnten wir feststellen, dass die Dämonen eine kritische Schwäche haben: Auf ihren Stelzen konnten sie sich nicht bücken oder nach unten sehen. So blieben wir effizient unentdeckt und konnten in relativer Seelenruhe die Urnen begutachten.
Doch dann geschah das Unfassbare! Jonathan Frakes würde noch heute über uns berichten, denn der Großwildjäger schrie „Vorsicht!“ und deutete mit seiner Donnerbüchse vor uns. Wir waren gradewegs in eine der Sukkuben reingelaufen, und sie schien die Mutter aller anwesenden Dämoninnen zu sein.
Ein Haut wie dreißig Jahre Pommes Schranke unter einer ranzigen Brücke in Dortmund-Scharnhorst, eine Frisur wie auf Facebook Marketplace für fünf Euro ergattert, eine Stimme wie ein angenehm wütender Hornissenschwarm, dem man grad ans Nest gepinkelt hat und ein Becken, aus dem sie mit Achtzehn schon eine ganze Schulklasse am Stück geboren hatte.
Wir waren alle von Angst gelähmt, denn ich hatte die Wirkung ebenjener Monstrosität schon einmal aufgezeichnet und mit meinen Kameraden geteilt. Dementsprechend war uns allen die Angst ins Gesicht geschrieben – und sie öffnete ihren gigantischen Rachen, zweifellos, uns alle am Stück zu verschlingen.
Pedro war der erste, der seine Fassung wiedergewann, was mich von seiner Widerstandsfähigkeit echt beeindruckte. Allerdings, sehr zu seinem Unglück, stolperte er über mein durch eine theistische Fügung ausgestrecktes Bein, direkt in die Arme von Mama Dämon, die begann, ihn lang und innig zu umarmen.
Ein Rumpeln ging durch die Anlage, als sie langsam und unheilvoll, Pedro an einem Bein mitschleppend, in Richtung einer alten, modrigen Kaverne stapfte. Zweifellos war es jetzt an der Zeit eine zweite Schulklasse zu zeugen. Die anderen Sukkuben jedoch, waren durch die Geräusche sehr aufgeschreckt und intensivierten ihre Hetzjagd nach uns.
Nach einigen Minuten weiterer Suche nach dem Schatz trafen wir, zumindest Kapitän Jagdzucchini und ich, uns wieder mit dem Pärchen unglückseliger Barone. Sie hatten auch keinen Erfolg, insofern mussten wir uns eine neue Strategie einfallen lassen oder unsere Jetzige überdenken.
Die Baroness äußerte den Vorschlag, zu schauen, ob die Urnen vielleicht schematisch sortiert waren. Mein Vorschlag war wiederum, zu schauen, ob die Urnen vielleicht schematisch sortiert waren. Völlig unvoreingenommen wählten wir natürlich meinen Vorschlag.
Nach vorsichtiger Analyse unserer Umgebung fanden wir Urnen, die mit einer unauffälligen Dreiundvierzig markiert waren. Die mystische 46 konnte also nicht weit entfernt sein, und damit rückte das Ziel unserer Plündertour in greifbare Nähe. Niemand von uns achtete noch auf etwas Anderes als die Zahlen und die unzähligen nutzlosen Grabbeigaben.
Eine Zucchini wies uns den Weg, der Großwildjäger schien sie irgendwann verloren zu haben. Sie zeigte auf einen seidenen Faden, der sich bis zur Decke band. Dort hing ein Werkzeug, mit klar sichtbarer und leuchtender Beschriftung einer 46.
„Den erwische ich aus fünfzehn Metern mit einem verbundenen Ohr!“, flüsterte mir der aus meinem Großpersönlichen Schatten tretende Großwildjäger zu, ungestüm mit seiner wiedererlangten Zucchini gestikulierend. Froh, in diesem Abenteuer auch mal nützlich sein zu können, schoss er auf den hauchdünnen Seidenfaden, der das Objekt der Begierde weit über unseren Köpfen an die Decke band.
Ein schneller, schallender Knall und der Schuh… Ich meine, der archäologische Schatz fiel direkt in meine Hände. Wir hatten ihn legitim erbeutet, doch nicht mit dem Echo gerechnet. Es hieß, keine Zeit mehr zu verschwenden, denn der Schuss hatte alle Dämonen hier im Tempel auf unsere Position aufmerksam gemacht.
Damit wir den Ausgang wiederfanden, holte ich meine Rolle rotes Garn aus der Tasche, mit dem ich meinen Weg geflissentlich aufgezeichnet hatte. Wir mussten nur das Garn wieder aufrollen und kämen so exakt wieder zum Eingang, eine Taktik, die ich schon in meinem Epos Dex gegen Goliath benutzt habe.
Plötzlich rumpelte es wieder und die Anlage fiel in absolute Dunkelheit. Niemand von uns hatte auf die Zeit geachtet und die Spanne, die wir unseren Helfern zum Offenhalten der Türe nannten, schien vorüber zu sein, so dass sie uns verließen, eingesperrt in einem warmen, trockenen Grab voller Schuhverkäufer.
„NEIN! WARTET!“ rief ich, doch es war zu spät. Wir waren gefangen und alleine. Niemals war dies ein ungeplantes Ungemach. Ich musste also alle meine drei grauen Zellen anstrengen und einen Ausweg finden.
Legenden zufolge hatten fast alle Tempel zusätzliche Geheimgänge, die durch geschickt versteckte Hebel oder besondere Handlungen entdeckt werden konnten. Ein vage fühlbarer Lufthauch schien mich zu einem geheimen Ausgang zu führen.
Blöderweise lag dieser Ausgang hinter einem der unsäglichen Kassierergoblins. Dieser schien uns mehr interessiert als blutgierig zu mustern und bot uns einen Handel an. Er wusste, dass wir keine andere Wahl hatten, als ihm ein Paar Ledersohlen für einen unverschämten Preis abzunehmen, aber ließ uns nach erfolgreicher Transaktion passieren.
Ein langer unbequemer Tunnel führte uns ins Freie und das Werkzeug war in meinen Händen, doch zu welchem Preis? Wie würde die Akademie des Dexismus mein Beinahe-Versagen aufnehmen? Ich glaube, ich kann nur eines daraus lernen:
Beim nächsten Mal kaufe ich meine Schuhe wieder allein! So!