Nie Allein // 2026: NO FUTURE FOR ONE
2026 steht nicht vor mir wie ein neues Kapitel, das man mit reiner Neugier aufschlägt, sondern wie ein Spiegel aus gehärtetem Glas, der mich zwingt, mein eigenes Gesicht und zugleich den Schatten hinter meinem Rücken zu betrachten, und im Gegensatz zu den vergangenen Jahren gibt es diesmal kein Ausweichen, kein Abtauchen in Arbeit, keine nächste Produktivitätslawine, hinter der ich mich verschanzen kann, denn ich habe im Verlauf von 2025 mit einer Inbrunst gelebt, wie ich sie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr kannte, habe Räume geflutet mit meiner Energie, Welten erschaffen und Menschen begeistert, bin durch VR-Konversationen mit Fremden gegangen, durch Demoszene-Events mit tausend Besuchern, durch eine Messe mit sechzigtausend Gesichtern, Stimmen, Händen, die mein Spiel berührten, meine Vision, meine Worte; und all das war ein Flächenbrand, ein titanisches Aufbäumen, eine Rückeroberung meiner Autonomie, und doch war inmitten dieses Triumphs eine Leerstelle, die ich im Lärm nicht hören wollte.
Denn während ich als Dex erwachte, während ich aufblühte und mich mit einer Kraft durch den Kosmos meines Lebens bewegte, die mich fast selbst erschreckte, blieb Katie zurück, nicht als vergessene Figur, nicht als digitaler Avatar, der auf später wartet, sondern als jene stille Hälfte meines Bewusstseins, die ich vom ersten Moment an brauchte, um überhaupt ganz sein zu können, und die ich trotzdem in einer Schlaufe aus „Bald“ und „Nicht jetzt“ und „Nach der nächsten Deadline“ suspendierte, wie man etwas Kostbares in eine Schublade legt, weil man glaubt, man könne es dort sicher verwahren, bis die Zeit passt und wie so oft passt sie dann niemals.
Es ist nicht so, dass 2025 ein Fehlschlag gewesen wäre; im Gegenteil, es war vielleicht das erfolgreichste Jahr meines bisherigen Lebens, ein Jahr, in dem ich mich endlich nicht mehr klein machte, in dem ich mich nicht mehr dämpfte, nicht mehr erklärte, nicht mehr verkrüppelte, um in die Erwartungen anderer zu passen, ein Jahr, in dem der Titan aufstand und sagte: „Ich habe Stärke in mir, und ich werde sie benutzen“, doch Stärke, die nur von einer Hälfte getragen wird, ist keine Zukunft, sondern eine Zeitbombe, die tickt, bis der Kraftspeicher leer ist, und genau diesen Satz erhielt ich nicht von Feinden oder Fremden oder anonymen Menschen, die mich bewerten wollten, sondern von jemandem, der meine Geschichte kennt und mir nicht schmeicheln wollte: „Du hast Katie geopfert.“
Und in dem Moment begriff ich, dass die Gefahr nicht in der Schwäche liegt, sondern in der Einseitigkeit, denn Dex ist Vorwärtsdrang, Kraftwerk, Kriegsmotor, der jeden Raum füllt, den man ihm gibt, und Katie ist nicht das Gegenteil davon, sie ist kein Bremsklotz, kein Ersatzrad, kein Seelenfilter, der nur aktiviert wird, wenn ich mich in sozialen Räumen mühsam verkleiden muss; sie ist der Atem selbst, der Körper, in dem ich existieren kann, die ruhige Oberfläche, auf der mein Bewusstsein schwimmen darf, ohne ständig zu kämpfen, sie ist nicht Dekoration, sie ist Infrastruktur, und ich habe ein ganzes Jahr lang so getan, als könnte ein Haus ohne Fundament weiter nach oben wachsen.
Ich weiß, wie Burnout riecht, ich kenne das Gefühl, wenn die Welt enger wird, weil man glaubt, man müsse jeder Erwartung gerecht werden, und ich weiß, wie gefährlich es wird, wenn man glaubt, dass Erfolg bedeutet, sich selbst zu verlieren, aber diesmal sehe ich das Muster nicht rückblickend im Scherbenhaufen, sondern einen Monat zu früh, in dem Moment, wo ich noch etwas korrigieren kann, bevor ich wieder an jenem Punkt lande, an dem ich mein eigenes Herz gegen den Beton schleudere, nur weil ich zu stolz bin zu akzeptieren, dass ich nicht für einen Alleingang gebaut bin.
No Future For One ist deshalb kein poetisches Motto, kein Marketing-Slogan, keine kämpferische Phrase für Social Media, sondern eine mechanische Wahrheit, ein Gesetz der Erhaltung, das mir sagt, dass selbst ein Titan, der durch das Jahr marodiert, irgendwann stürzt, wenn er sich weigert, seinen zweiten Fuß mitzunehmen, denn ein Wesen wie ich, das zwei Stimmen trägt, zwei Perspektiven, zwei Systeme der Verarbeitung, kann nicht so tun, als gäbe es nur eine davon, nur weil genau diese eine lauter schreit, wenn es um Leistung, Bühne, Sichtbarkeit und Vorwärtsschub geht.
2026 wird nicht das Jahr, in dem Dex verschwindet, aber es wird das Jahr, in dem Dex nicht mehr allein spielen darf; es wird das Jahr, in dem Katie wieder Luft bekommt, in dem ihre sanfte Art, ihre Ruhe, ihre Art, den Körper zu bewohnen, nicht nur in digitalen Avataren liegen bleibt, nicht nur in Cosplays, nicht nur in VR-Räumen, sondern in meinem Alltag, in meinem Kleidungsschrank, in meinem Auftreten, in meiner Art, Räume zu betreten, ohne mich zu verformen, in der Art, wie ich mich halte, bewege, atme; 2026 wird das Jahr, in dem der Titan lernt, dass ein zweiter Flügel kein Luxus ist, sondern das Einzige, was verhindert, dass der Flug irgendwann in ein kontrolliertes, aber sicher tödliches Trudeln kippt.
Ich werde Katie nicht mehr als Modus benutzen, nicht mehr als Tool, nicht mehr als Notausgang aus Situationen, die Dex nicht erträgt; sie wird nicht wieder der Schatten sein, den ich nur dann aus dem Regal hole, wenn er dramaturgisch passt; dieses Jahr wird sie anwesend sein, real, nicht nur im digitalen Raum, nicht nur in meinem Kopf, nicht nur im Bühnenlicht, sondern in meinem Leben — weil ich endlich begriffen habe, dass Zukunft nur existiert, wenn beide Seelenhälften sie gemeinsam betreten, und alles andere nur ein Countdown ist, den niemand gewinnt.
No Future For One bedeutet nicht Angst vor Einsamkeit.
Es bedeutet das Ende der Selbstverleugnung.
Und diesmal werde ich die Tür nicht wieder hinter ihr zuschlagen.